===> BRUCHWANDERUNG.

Aus dem Jahr 1955 stammt ein Zeitungsartikel von einem leider unbekannten Autor, der unter dem Titel "Das Selsche Bruch - eine Perle unserer Heimat" uns heute noch lebendige Einblicke in eine mit Mythen und Sagen verwobene Gegend vermittelt, die vielen Mitmenschen leider immer noch verborgen geblieben ist. 

"Im Jahre 1952 kamen vom früheren Kreise Haldensleben die Gemeinden Wefensleben, Ummendorf, Eilsleben, Wormsdorf und Ovelgünne zum Kreise Wanzleben hinzu. Die neue Kreisgrenze führt nun nördlich von Eilsleben und Ummendorf quer durch das Selsche Bruch. 
Begibt sich der Wanderer von Ummendorf aus in nördlicher Richtung zum drei Kilometer entfernten Ortsteil Neu-Ummendorf, so steigt die Straße bald an und führt über ein hügeliges Gelände. Hat er die Höhe der Hügel erreicht, so liegt Neu-Ummendorf vor seinen Blicken, und dahinter weitet sich der Horizont, er blickt bis zu den Forsten von Eimersleben und Erxleben. Die Kirchtürme der Dörfer Erxleben, Uhrsleben und Hakenstedt grüßen herüber. 
 
Hinter Neu-Ummendorf aber senkt sich das Gelände sehr stark. Der Betrachter erwartet bald die spiegelnde Wasserfläche eines Sees zu sehen. Doch die Erwartung trügt, er beschaut das Selsche Bruch. Früher allerdings bereitete sich hier der Selsche See aus. Er hatte eine länglich ovale Gestalt, der von Südosten in nordwestliche Richtung verlief. Zur Hälfte gehörte er zur Burg Erxleben und anderen Hälfte zur Burg Ummendorf. Die Feudalherren hatten an den Ufern des Sees Fischerangesiedelt, die die Erträge ihrer Arbeit an die herrschaftlichen Küchen abliefern mussten. 
 
Der Name des Sees stammt von dem Dorf Selschen, welches am Südufer lag. In Kirchenakten wurde es mehrfach erwähnt. Im Mittelalter soll es abgebrochen worden sein. Heute erinnert an das Dorf ein Gedenkstein, der an einer Wegekreuzung in Neu-Ummendorf steht und folgende Inschrift trägt: "Dorfstätte Selschen abgebrochen weg. d. Landwehr 1487."
Die Bewohner des Ortes zogen nach Ummendorf, wohin auch heute noch die Feldmark gehört. Die Selsche Straße in Ummendorf, die nach Neu-Ummendorf führt, erinnert ebenfalls noch an das Dorf Selschen. Im Jahre 1720 soll der See noch eine Länge von fünf Kilometern gehabt haben. Er ist in dieser Zeit entwässert worden, indem an der Nordwestecke ein Durchstich gegraben und das Wasser in die Aller geleitet wurde. In den folgenden Jahren mag sich dann der Name Selsches Bruch gebildet haben.
Die Sage berichtet, daß in früheren Zeiten ein Mädchen aus Uhrsleben Schweine im Selschen Bruch hütete. Eine der Sauen wühlte den Bügel einer Glocke der ehemaligen Kirche zu Selschen heraus. In Ermangelung eines Strickes oder Riemens hat das Mädchen mit seinem Strumpfband die Glocke vollends herausgezogen. Eilends lief sie nun nach Haus, rief die Bauern, und mit ihnen gemeinsam holte sie auf einem Wagen die Glocke ins Dorf. Im Turm der Kirche zu Uhrsleben soll die Glocke aufgehängt worden sein und noch heute dort geläutet werden. 
 
Längs des Sees führten früher bedeutende Straßen - heute noch Heerwege genannt - von Magdeburg nach Braunschweig. Es mag stimmen, daß, wie es in der Überlieferung heißt - in den Kriegswirren der Feudalzeit sich die Bauern und sonstigen Bewohner der umliegenden Ortschaften häufig vor den räuberischen und mordlustigen Horden der Landsknechte und ihrer Herren in die undurchdringlichen Dickichte, die den See umgaben, oder später auch ins Bruch gerettet haben.
Heute erinnern an die Bruchlandschaft noch einige Pappelwälder, einzelne Pappeln und Weiden und einige Tümpel. Mehrere Entwässerungsgräben durchziehen das Wiesengelände. Der Hauptgraben bildet gleichzeitig die Kreisgrenze. Der größte Teil des Bruches ist heute in Wiesen und zum Teil schon in Ackerland umgewandelt, doch ist beim Umbruch der Grasnarbe noch immer deutlich der ehemalige Seeboden zu erkennen. Die Menschen schufen im Laufe der Jahrhunderte auch hier eine Kulturlandschaft, und nur der Name erinnert noch an die ehemalige Naturlandschaft. 
 
Trotzdem aber bietet das ehemalige Bruch dem naturverbundenen Beschauer eine Fülle reizvoller Bilder. Steht man auf einem der umgebenden Hügel und liegt im Bruch ein Meer von Nebel, aus dem die Weiden und Pappeln schemenhaft hervorragen, so ahnt man wohl, wie es hier einmal vor mehreren hundert Jahren aussah. Im Hochsommer zur Mittagszeit, wenn die Luft von der Hitze zitternd aufsteigt, gerät man wohl in eine einschläfernde Stimmung, kein Laut dringt herauf. Nur die Häuser des ehemaligen Vorwerkes Eimersleben und von Neu-Ummendorf, die sich an die Hügelketten im Norden und Süden anschmiegen, erinnern daran, daß Menschen nicht weit sind. 
 
Zur Zeit der Heuernte liegt ein wahrhaft betäubender Duft über dem Bruch. Auch im Winter, wenn Eis und Schnee die Landschaft bedecken, wenn die Wintersonne den Schnee wie Tausende von Diamanten erstrahlen läßt, glaubt man, dass es nirgendwo schöner sein kann. So liegt hier im Nordostzipfel unseres Kreises in der Abgeschiedenheit eine Landschaft, die einer anmutigen Schönheit nicht entbehrt. 
Unsere Schuljugend lernt bei den Ferienwanderungen, die im Juli und August durchgeführt werden und zu deren Ausstattung unsere Regierung in großzügiger Weise Millionenbeträge beisteuert, unsere deutsche Heimat kennen und lieben. Auch das beschriebene Gebiet vierdiente es, obwohl es ziemlich abgelegen liegt, daß es hin und wieder von Wandergruppen aufgesucht wird."

Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen. Erhalten wir den Schatz, den uns unsere Vorfahren überlassen haben, um ihn unbeschadet den nächsten Generationen zu übergeben.