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Seelsches Bruch 
Mal eine andere Betrachtung zu Natur und Zeit

Seelsches Bruch – Geschichte historisch

Das Landschaftsbild des Seelschen Bruches setzt sich wohltuend durch seine harmonische Erscheinung vom angrenzenden agrarischen Bördeumfeld ab. Ein großflächiges Niedermoorgebiet mit weiten Wiesenarealen, von kleinen und großen Gräben durchzogen, einzelnen Baumreihen und lokalem Buschwerk verleihen diesem Stück Heimat einen besonderen optischen Zauber.
Einst lag an gleicher Stelle ein großer See, dessen Fischreichtum zur Gründung von Siedlungen in seinem Umfeld führte. Nur wenige Dörfer existieren heute noch. Einige Orte von damals haben als Wüstungen überlebt, wie Klein Hakenstedt und Osmarsleben, die in den Wirren des Mittelalters verschwanden.
Herren der Burg Ummendorf und Erxleber Schloss hielten jeweils sechs Pachtfischer auf den See, der Klosterhof Hakenstedt bis zum 30jährigen Krieg drei. In den Seeboden eingelassene Pfähle markierten die Fanggebiete. Bei Missachtung dieser Linien drohten Sanktionen.
Als zunehmend Buschwerk und Schilf den Fischfang behinderten, beschlossen 1550 die Häuser Ummendorf und Erxleben eine künstliche Stauwehr am Reiherhals zu errichten. Doch die Verschilfung war nicht zu stoppen. Noch 1662 galt das mit über 750 Hektar große Gewässer als „der größte See im Erzbistum Magdeburg“.
Wirtschaftliche Aspekte gaben den Ausschlag zu seiner Trockenlegung von 1719 bis 1724. Viele kleine Gräben und der über vier Kilometer lange neue Hauptgraben übernahmen die Entwässerung bis zum Reiherhals, von wo das Wasser in die Aller fließt.
Seit 1724 nutzen die drei Anliegergemeinden das gewonnene Land als Weideland und für Feldbau. In Hakenstedt bestätigen heute noch zwei ins Bruch führende Wege die damals getroffene Fluraufteilung zwischen Klostergut und Gemeinde(bauern). Der von alten Pappeln gesäumte linke Weg führt in den Teil des heutigen Stiftungsgutes.

Seelsches Bruch – geschichtliches ab 1945

Als in der Nachkriegszeit auf dem Gebiet der sozialistisch verwalteten DDR großer Mangel an Nahrungsmitteln herrschte, veranlasste die damalige Regierung in den 1950er Jahren ein umfangreiches Meliorationsprojekt. Mit erheblichen finanziellen und technischen Aufwendungen wurden 600 Kilometer Drainagerohre im Wiesengrund des Bruches versenkt. Zielstellung war die Gewinnung von 1.000 Morgen Ackerland für Bauern des Umlandes. Diese und spätere Maßnahmen mit klimatischen Änderungen beschleunigten die Austrocknung des Areals, da eine Stauregulierung nicht vorhanden war. Folgen der Änderung im Wasserhaushalt setzten bei heimischen Tier- und Pflanzenarten ein.
Erst nach der politischen Wende ist eine Rückbesinnung auf natürliche Ressourcen unserer Heimat zu verzeichnen. Im Zuge des Ausbaus der Autobahn A2 startete ein Versuch zur Wiederherstellung natürlicher Gegebenheiten auf einem Teilgebiet. Ob und wie stark sich dies perspektivisch auf das gesamte Seelsche Bruch positiv auswirkt, wird wohl erst nach Jahren im Rückblick einzuschätzen sein.

 Seelsches Bruch – geografisch

Zwei von Ost nach West verlaufende kleine Hügel begrenzen nördlich und südlich das Seelsche Bruch. Zwischen ihnen lag einst wie in einem großen Dreieck der Seelsche See, dessen östlicher Uferbereich zwischen Ovelgünne und Hakenstedt auf jeweiliger Uferhöhe verlief und von hier sich später sehr verjüngend bis zum Reiherhals in westliche Richtung hinzog. Zwischen beiden Hügelzügen auf denen sich mittelalterliche Handelswege befanden, gab es keine Landverbindung. Heute weisen beide Hügelzüge moderne Straßen auf. Die Alte Heerstraße zieht sich durch Neu Ummendorf und auf der Gegenseite die A2, deren historische Grundlage die B1 liefert.
Erst 1905 kam es zum Ausbau einer festen Straßenverbindung durch das Seelsche Bruch, als die Chaussee zwischen Hakenstedt und Eilsleben dieses sumpfige Gebiet befahrbar werden ließ. Eine Serpentine mit großem Radius ermöglichte Pferdegespannen den Höhenunterschied vom Bruch auf den Eilsleber Berg zu bewältigen. Im Zuge des Straßenneubaus in den 1970ern verschwand die Serpentine.
Nach Gründung der Zuckerfabrik Eilsleben 1879, mussten Pferdegespanne ihre mit Zuckerrüben vollbeladenen Ackerwagen über Ovelgünne nach Eilsleben transportieren. Allein aus diesem Grunde war die neue Straße durch das Bruch ein Gewinn für alle.

 Seelsches Bruch – zeitkritisch

Nach dem Krieg herrschte in der Sowjetischen Besatzungszone, die 1949 als DDR neu erstand, große Not. Lebensmittel, Brennstoffe, Ausrüstungen aller Art und vieles mehr fehlten. Grundnahrungsmittel wurden über Lebensmittelmarken rationiert. Sie regelten den Mindestanspruch an Lebensmitteln die der Handel je Person/Haushalt pro Woche oder Monat anbieten sollte. Doch konnte der Handel nur Waren präsentieren, die der Staat bereitstellte. Daran haperte es aber nicht selten. Auf dem Schwarzmarkt konnte man viele Waren oft im Tausch zu überhöhten Preisen erwerben. Weil dieser Handel strikt verboten war, drohten harte Strafen. Auch nach Gründung der DDR setzten sich Probleme der Warenbereitstellung fort, sie galten als markantes Zeichen einer verfehlten zentralisierten Wirtschaftspolitik im Sozialismus.
Zur Erfüllung kleiner Träume nutzten viele Bürger noch in der Zeit der relativ offenen Westgrenze den Weg in den Landkreis Helmstedt, um dort begehrte Produkte einzutauschen. Nach einem kleinen Ausdauermarsch hatte man von Hakenstedt aus die Westgrenze zwischen Völpke und Harbke erreicht. Der kürzeste Weg führte direkt durch das Seelsche Bruch, wo vom Reiherhals aus noch ca. zehn Kilometer Wegstrecke zurückzulegen waren, dann war die bewachte Zonengrenze erreicht.
Tauschobjekte hatte jeder bei sich, um sie für westliche Produkte einzusetzen. Nicht selten waren darunter verbotenes Wildbret, oder andere gefragte Artikel. Nach Erreichen der Grenzanlagen hieß es große Achtsamkeit walten zu lassen, um bewaffneten Kontrollposten aus dem Weg zu gehen. Klappte dies nicht, halfen manchmal gute Ausreden mit kleinen Zuwendungen für die Posten.
Doch ab 1961, als das DDR-Regime den Antifaschistischen Schutzwall in Berlin errichtete, vollzogen sich auch an der kompletten innerdeutschen Grenze massive Änderungen. Sperranlagen wurden ausgebaut, ein Kolonnenweg angelegt, Panzersperren aufgestellt und mörderische Selbstschussanlagen installiert. Schusswaffengebrauch an der Grenze ließ jeden Fluchtversuch als unmöglich erscheinen. Damit war auch die Warenbeschaffung über die grüne Grenze vorbei. Politische Repressalien, unterdrückte Meinungsfreiheit und eine suggerierte Demokratie führten 1989 zum Zusammenbruch des DDR-Systems.

 Seelsches Bruch – natürlich tierisch

Diesen Hort großer natürlicher Diversität wussten nicht nur eingeweihte Naturliebhaber zu schätzen. Ansässige wie auch wandernde Vertreter aus der Tierwelt nutzten alle Ressourcen dieses heimatlichen Biotops. Buschwerk, bewachsene Wegeränder, lange Grabenläufe, Flachwasserzonen und weite Wiesen galten als Schutz- und Lebensraum vieler Arten. Würmer, Insekten und anderes Getier aus Bodennähe standen als Grundlage in der Nahrungskette für Kleinsäuger, Vögel und Greife zur Verfügung. Im Frühjahr und Herbst nutzten viele Zugvögel, darunter Störche, Wildgänse, Schwäne und Kraniche die Vorteile des Vernässungsbereichs im Seelschen Bruch. Wildenten finden bereits in mittelalterlichen Dokumenten der Burg Ummendorf Erwähnung, die Fischer im Winter bei zugefrorenem See einfingen und auf der Burg ablieferten. Dachse, Hasen, Rehe, Marder, Iltisse, Fasane, Rebhühner, Blesshühner, Milane, Habichte und Vertreter von Spechtarten komplettierten den großen tierischen Reigen. Unter den hier einst vertretenen Tierarten nimmt die scheue Großtrappe eine besondere Stellung ein. Sie liebt ein ungestörtes Umfeld mit artengerechter Vegetation. Leider hat sich die Großtrappe ganz aus dem Seelschen Bruch verabschiedet, ihre Neuansiedlung wäre wünschenswert.
Fortwährende Eingriffe in die Natur des Bruches, mit Melioration und Zusammenlegung kleiner Ackerstücke zu großen Feldkomplexen verursachten Änderungen des Biotops. Die harmonische Vielfalt der heimischen Tiergesellschaft wurde gestört. Eingeebnete Feldwege ließen die Lebensgrundlage für Insekten und Kleingetier verschwinden. Zudem gingen Schutzfunktionen dieser Wegesränder verloren, starker Wind spielt nun im Sommer mit abgetragener Erdkrume und trägt kostbaren Boden fort. Eine vorausschauende Risikobewertung bei Änderung der Flächenstruktur kam nicht zustande. Die Nachteile des Handelns ertrug und erträgt stillschweigend unsere heimische Natur, auch im Seelschen Bruch.

 Seelsches Bruch – nahrungstechnisch

Eine große Vielfalt an Niederwild, wie Hasen, Wildkaninchen, Rehe, Fasane und Rebhühner, bereicherte früher in großer Anzahl das Seelsche Bruch. Hier fanden Tiere Deckung und Schutz, Nahrung und Wasser.
Alle oben aufgeführten Wildarten zeichnen sich dadurch aus, daß sie als schmackhafter Sonntagsbraten jeden Gaumen erfreuen könnten. Bis heute hat sich leider der einstige Wildbestand enorm reduziert, zudem überlassen wir das Erlegen aktiven Jägern und verzichten selber auf Pirsch zu gehen. Unsere Nahrung erwerben wir beim Discounter oder bestellen sie im Internet.
Heute kaum vorstellbar, welche Entbehrungen während und direkt nach dem Zweiten Weltkrieg die Menschen ertrugen. Neben großem menschlichem Leid kämpften sie ums tägliche Überleben. Nahrungsmittel organisieren und Heizmaterial besorgen gehörte neben vielen anderen Tätigkeiten zu ihren täglichen Aufgaben. Geld war knapp bemessen und mit Geld allein war nicht viel anzufangen, da der Handel kaum ausreichend Ware bereithielt.
Wer einen Garten oder gar Ackerland besaß konnte sich glücklich schätzen. Kleinvieh bereicherte die eigene Küche mit Eiern oder als Braten, diente als Tauschobjekt oder diente als zusätzliche Geldquelle. Das liebe Vieh benötigte eine auskömmliche Futterbasis, für deren Nachschub oft Tauschgeschäfte dienlich waren, die man gern bei einem Bier in der Kneipe erledigte. Noch zu Zeiten von LPG und VEG erleichterten diese Einrichtungen ungewollt so manche private Tierhaltung durch direkte Futterspenden.
Bis auf vorliegende authentische Berichte über Wilddieberei im Seelschen Bruch, die ein bekannter Naturschützer und Heimatforscher veröffentlichte, hat sich dieses Thema seit langer Zeit verabschiedet. Heute muss keiner mehr Hunger nach Nahrung ertragen, ihn hat Hunger nach Gerechtigkeit abgelöst.
(B.G. 09/2024)